Ein Tag für die Geschichte des JC 66
Trainer Sven Helbing über den größten Männererfolges des JC 66
9.30 Uhr ist Abfahrt, aber wach bin ich schon um 6 Uhr. Die Aufregung ist doch ziemlich groß. Noch einmal den Computer anmachen, die Gegneranalysen durchgehen und die letzten Sachen einpacken, dann kann es losgehen. Die Jungs warten schon an der Dieter Renz Halle. Alle haben erwartungsfrohe und auch angespannte Gesichter. Schließlich weiß hier jeder, worum es heute geht. Entweder wir machen heute den Einzug in die die Play-Off klar oder wir werden uns in die Abstiegsrunde quälen. Noch nie haben es die Männer in die Finalrunde geschafft und unser heutiger Gegner war bereits Deutscher Vizemeister.
Auf der Fahrt haben unser Manager Volker Tapper und ich endlich auch mal genügend Zeit, uns über die vielen großen und kleinen Vereinsangelegenheiten zu unterhalten, zu planen und strategische Informationen auszutauschen. Noch ein Anruf mit Trainerkollege Frank Urban, der zeitgleich die Altersklasse U14 bei den Bezirksmannschaftsmeisterschaften betreut, ein Blick aus dem Fenster und eine Runde schlafen. Der Tag wird sehr kräftezehrend werden.
Letzte Beratung vor dem Wiegen
In Hamburg angekommen setzen sich Kapitän Markus Wallerich, Manager Volker Tapper, der verletzte Mark Kühlkamp (-73kg) und ich noch einmal zusammen, um zu beraten. 14 Kämpfe, sieben in der Hinrunde, sieben in der Rückrunde. In der Rückrunde müssen drei Judoka ausgetauscht werden und von den 14 Kämpfen dürfen nur vier mit Ausländern bestritten werden. Einfach ist anders.
Um 16.00 Uhr ist das Wiegen. Hoffentlich haben alle ihr Gewicht. Aber alles geht klar und alle haben sich super vorbereitet. Jetzt kommt es auf uns an, wen wir im ersten Durchgang aufstellen. Während sich die Jungs aufwärmen entscheiden sich Volker Tapper, Markus Wallerich und ich, gleich mit dem stärksten Team zu beginnen. Wir wollen von Beginn an ein Zeichen setzen und die Hamburger sofort in die Defensive drängen. Die Anspannung steigt, denn wir alle wissen, dass es hier auf jede Kleinigkeit ankommt und dass jeder Fehler entscheidend sein kann. Hamburg hat sein bestmögliches Team mitgebracht. Vier ausländische Top-Judoka und mehrere deutsche Spitzenkämpfer.
Noch wenige Minuten bis zum Start. Alle gehen noch mal in die Kabine zur Teambesprechung. Heute wird diese nicht lange dauern. Ich gebe die Aufstellung und die Gegner bekannt. Die Jungs haben sich bereits im Vorfeld mit Hilfe von Videoanalysen auf die potentiellen Gegner vorbereitet. Dann fordere ich von den Jungs nicht hundert, sondern 120 Prozent. Wir alle wissen, wenn jeder sein Potential abruft und über seine Grenzen hinausgeht, kann das heute hier funktionieren.
Einmarsch der Teams. Ich sehe in den Augen unserer Piraten, dass sie um jeden Zentimeter Hamburger Judomatte kämpfen werden, dass einer für den anderen kämpfen wird und das eine faszinierende Spannung und Konzentration in der Luft liegt. Die Blicke der Hamburger verraten zwar keine Angst, aber beeindruckt sind sie von unserem Auftreten schon ein wenig.
Ein Start nach Maß
Dann geht’s los. Bereits in den ersten beiden Kämpfen, die Mathias Schmunk (+100kg) und Ephrahim Neumann (-73kg) sehr couragiert mit Unentschieden beenden können wird deutlich, dass das ein Signal fürs ganze Team ist. Der erste Joker der Hamburger, der Ukrainer im Schwergewicht konnte nicht punkten, das sieht gut aus. Die nächsten vier Kämpfe sind allesamt unglaublich eng. Es kommt wie erwartet auf Kleinigkeiten und den absoluten Willen an. Ich habe das Gefühl, jeden Kampf mitzukämpfen und auch, wenn wir am Ende des ersten Durchgangs mit 4:1 führen, hat das sehr viel Kraft gekostet. Aber wir müssen die Spannung hochhalten. Noch ist nichts gewonnen, denn schließlich wäre auch ein Unentschieden nicht optimal für uns. In der Pause der erste kleine Schock. Ephrahim Neumann muss nach seiner Schulteroperation geschont und ersetzt werden. Wen tauschen wir noch aus? Wer macht die noch nötigen drei Punkte? Risiko? Sicherheit? Wir sitzen lange zusammen und beraten. Wir sprechen mit den Sportlern und schauen in die Gesichter der Gegner. Vielleicht verraten die ja etwas über die Strategie? Auch Kollege Frank Urban ist noch mal am Telefon. Dann müssen die Listen für den zweiten Durchgang abgegeben werden. Das Team steht. Neben Ephrahim (-73kg) haben wir noch den starken Mathias Schmunk (+100kg) ausgewechselt, was riskant war und Sascha Michalski (-90kg), der in Durchgang eins nach gutem Kampf nicht punkten konnte.
Wenn alles so klappt, wie wir uns das vorstellen, schaffen wir die nötigen sieben Punkte. Zuerst müssen wir zwei Niederlagen hinnehmen. 4:3, Hamburg ist wieder dran. Kallala Ngoy (-66kg) und der bärenstarke Yassin Grothaus (-81kg) bringen unser Piratenschiff wieder mit 6:3 auf Kurs. Nun fehlt noch ein Punkt. Am Mattenrand schwitzen nicht nur die Kämpfer, auch das Anfeuern ist irgendwie ein Kampf.
Danny Meeuwsen (-100kg) erlöst uns schließlich mit seinem Würgegriff zum vorentscheidendem 7:4. Alle tanzen und liegen sich in den Armen. Nun fällt die Spannung endlich etwas ab und die Freude bahnt sich ihren Weg. Der letzte Kampf des Tages geht fast etwas im Freudentaumel unter. Alex Banikow (-90kg), zeigt, dass er endlich wieder fit ist und mit den Großen mithalten kann. Er unterliegt dem Hamburger Spanier Alberto Arnal erst 23 Sekunden vor Schluss. Ein würdiger Endpunkt eines ganz großen Kampfes. Jetzt tanzen wir alle um unsere mitgebrachte Piratenflagge und haben wieder einmal bewiesen, dass wir vor allem auswärts eine Macht sind. Noch kein Auswärtskampf ging seit dem Wiederaufstieg vor zwei Jahren verloren.
Es folgt das Spitzenduell gegen Potsdamm
Endlich geschafft, Viertelfinale, Ziel erreicht. Volker und ich kümmern uns jedoch schnell wieder um die nächsten Aufgaben. Schließlich sind wir am kommenden Samstag Teil des Liga Spitzenduells mit dem Führenden Potsdam. Am Anfang der Saison war diese Konstellation, Potsdam eins, Bottrop zwei nicht vorherzusehen. So ein Judoduell zu Hause gibt es nicht alle Tage.
Die Rückfahrt ist fröhlich und entspannt. Zwar fließt noch immer das Adrenalin durch die Körper, aber das Glücksgefühl lässt uns runterfahren und abschalten. Alle freuen sich auf die Belohnung der Saison, das Viertelfinale. Gegen wen es da geht ist egal und steht erst am kommenden Samstag fest. Wir werden jedem einen heißen Fight bieten, auch wenn wir definitiv keine Favoriten sein werden.
"Es ist ein tolles Gefühl Teil des größten Männererfolgs zu sein"
Auch nach der Ankunft in Bottrop spät nachts, kann ich noch lange nicht schlafen. Es ist ein tolles Gefühl, mit in diesem Betreuerteam, in dieser Mannschaft zu sein und Teil des größten Männererfolgs des JC 66 zu sein. Dieser Tag und diese Saison gehen in die Geschichte des Vereins ein.
Sven Helbing